Nichts kann so bleiben, wie es ist. Was generell im Leben zutrifft, gilt damit auch für die Zeitungsbranche. Sich neu erfinden, Routinen über Bord werfen — das sind Herausforderungen, die sinkende Auflagenzahlen und die rasende Digitalisierung an uns stellen. Wer überleben will, muss neue Wege gehen. Nur welche? Wir haben einen gefunden.
Lassen Sie mich die Geschichte unseres Medienhauses erzählen. Wir haben die Digitalisierung als Herausforderung begriffen und nehmen dazu auch mal Umwege, um eine Antwort auf zwei Fragen zu finden: Mit welchem Journalismus lässt sich in Zukunft Geld verdienen? Und was muss ein Journalist können, um für die Zukunft gewappnet zu sein?
1. Die Herausforderung
Nachrichten sind überall vefügbar und sie sind oft kostenlos. Unsere Mitbewerber sind nicht mehr „nur andere Medienhäuser der Region. Es sind Technologieriesen wie Google und Amazon, Soziale Medien und Institutionen wie Städte oder Vereine.
Sender kann im Digitalen jeder sein, also ist auch jeder Sender ein Mitbewerber. Sich als Organisation diese Herausforderung bewusst zu machen, ist der erste Schritt. Dann kann man ein Geschäftsmodell entwerfen, das in diesem Markt bestehen kann.
Wenn die Zielgruppe der Tageszeitungsleser altert und wir dadurch letztlich Abonnenten verlieren, ist es an der Zeit, neue Zielgruppen zu identifizieren. Wir haben diese im Digitalen gefunden, denn dort verbringen Menschen ein Gros ihrer Zeit und ihres Budgets — und das auch noch per Smartphone. Also war uns klar: Da müssen wir hin.
Unser Produktziel:
- Echte Storys aus der Region, die Menschen bewegen — statt reinen Nachrichten
- Einführung eines neuen Paywall-Modells angelehnt an erfolgreiche Streaming-Anbieter-Modelle
- Anpassung der Infrastruktur, um sämtliche User Touch Points auf digitalen Inhalten zu erfassen
- Launch eines neuen Digital-Designs, um dem neuen Weg ein passendes Outfit zu geben
Alle Auswirkungen unserer Ambitionen messen unsere KollegInnen der Datenanalyse. Welchen Artikelscore hat eine Geschichte? Welche Daten-Auswertungen sind für die Redaktion hilfreich? Welche Daten helfen uns, um weitere loyale Kunden zu gewinnen?
Und natürlich haben wir beim SÜDKURIER eine redaktionelle Leitlinie gesetzt, die radikal den Kunden fokussiert. Unsere Mission ist: Wir wollen die Menschen vor Ort dabei unterstützen, ihr Leben jeden Tag besser zu machen. Ambitioniert? Ja, klar. Aber genau das erwarten unsere Kunden von uns.
Wie stellen wir auf dieser Grundlage sicher, dass unsere Ideen auch Früchte tragen?
3. Das Forschen
Wir haben in unserer Konstanzer Lokalredaktion einen Minimum-Viable-Product-Ansatz eingeführt. Das heißt, die Kollegen arbeiten als Labor-Redaktion für die gesamte Organisation. Puh — das ist viel Verantwortung.
Ein Team aus Autoren, Marketing-Experten und Editorial-Developern überprüft hier die eigene Arbeit und entwickelt sie stetig weiter. Im Fokus stehen Produkt-Qualität, Usability, Personas und Dominanzthemen unter ständiger Berücksichtigung von Kundenfeedback.
Sprich: Hier wird mit Themen experimentiert und es werden Fragen gestellt und aufrichtig beantwortet: Mögen das unsere Kunden oder nicht? Welche Themen brauchen wir in welcher Häufigkeit? Treffen wir die Bedürfnisse, Wünsche, Probleme unserer Leser? Haben wir ein gutes Gespür für Storys, die verkaufen oder nicht? Das bedeutet nichts anderes, als ein völliges Umdenken in der täglichen Arbeit von JournalistInnen.
Die Redaktion testet datenunterstützt die Zukunft in der Gegenwart und das nach der SCRUM-Methode — das heißt: gut strukturiert, in Sprint-Zielen und unter der Verantwortung von mir als Product Owner. Gibt es das schon in Deutschland? Laut meinem Kenntnisstand sind wir die Ersten.
Und nun die entscheidende Frage: Was bringt das alles? Viel Lärm um Nichts? Nein!
4. Die Evaluation
Begibt man sich auf eine Reise, hat man in der Regel ein Ziel. Und selbstredend hat ein Medienhaus ökonomische Ziele, die darüber entscheiden, wohin die Reise gehen soll und wie lange diese Reise gehen darf. Wir waren sehr aufgeregt, als wir die erste große Evaluation vorgenommen haben. Wie lange würde unsere Reise wohl gehen dürfen?
Und wir waren positiv überrascht. Denn alle unsere Bemühungen zeigten:
Wir haben signifikant mehr tägliche Nutzer. Abonnenten kommen häufiger auf unsere Seite, Artikel werden intensiver gelesen und die Conversion-Rate neuer Abonnenten steigt ebenfalls an. Ein voller Erfolg!
Natürlich bauen wir auf unsere Erfahrungen auf und optimieren die Workflows kontinuierlich weiter, bis wir die Erkenntnisse auf andere Redaktionen übertragen können.
5. Das ist die Zukunft
Mit Kontinuität und Beharrlichkeit ein gesamtes Unternehmen zum Umdenken bringen — das und nichts anderes ist die große Herausforderung und die ist schwierig genug. Es erfordert ein außergewöhnliches Durchhaltevermögen, immer wieder zu testen, zu messen, zu lernen und zu verstehen, dass die Zeiten der Gewissheit in weite Ferne gerückt sind.
Deshalb ist die eigentlich zentrale Aufgabe in diesem gewaltigen Change-Prozess, Überzeugungsarbeit zu leisten. Immer wieder den Kolleginnen und Kollegen zu kommunizieren, dass in der Trauer um das gedruckte Papier die einzigartige Möglichkeit liegt, etwas Neues zu erschaffen. Wir leisten Pionierarbeit. So wie es einst die Pioniere der Zeitungsproduktion für uns getan haben.
JournalistInnen haben die Möglichkeit sich breiter aufzustellen: Sie sind heute auch Vermarkter und Ansprechpartner für Kunden. JournalistInnen schreiben für ihre User direkt vor der Haustür, unterstützt durch ein datengetriebenes Bauchgefühl, das ihnen die Gewissheit verschafft, ganz nah am Leser zu sein. Das ist die Zukunft des Journalismus im Lokalen. Jetzt mal ehrlich, gibt es einen besseren Job in der Medienbranche?
Pioniergeist, anspruchsvoll und innovativ — Sie sind beispielsweise Autor, Storyteller, Product Owner, Content Marketer oder wollen es werden? Schreiben Sie mir. Jetzt ist die beste Zeit, um bei unserer Entwicklung mitzuarbeiten.